Zum 50. Todestag von Georges Pompidou
französischer Staatspräsident von 1969 bis 1974
Heute vor 50 Jahren, am 2. April 1974, verstarb der amtierende französische Staatspräsident Georges Pompidou. Bei uns ist die Erinnerung an ihn verblaßt, leider und zu Unrecht.
Pompidou entstammte einer einfachen Familie aus dem Zentralmassiv, wo er am 5. Juli 1911 in Montboudif zur Welt kam. Sein Großvater betrieb einen bescheidenen Bauernhof, wie man ihn in der kargen Gegend des Cantal noch heute finden kann; sein Vater war Primarschullehrer. Nachdem der brillante Gymnasiast Georges Pompidou das baccalauréat, in etwa unsere Matur, in Albi bestanden hatte, war die École normale supérieure (ENS) sein nächstes Ziel. Die ENS ist eine der Grandes écoles in Frankreich und führt zum Lehramtsdiplom auf Gymnasialstufe. 1934 erlangte Pompidou als Jahrgangsbester die Lehrerzulassung in Altphilologie. Das Lehramt übte er bis 1945 aus. Damals wurde er in der Zeit der provisorischen Regierung de Gaulles (Ende 1945 bis anfangs 1946) in den Staatsdienst berufen. Während der IV. Republik nahm er verschiedene Funktionen im Staatsapparat wahr, war aber auch von 1954 bis 1962 mit Unterbrüchen Generaldirektor der Bank Rothschild Frères.
Nachdem de Gaulle 1958 an die Macht zurückkehrte und dann einen veränderten Staat mit der Fünften Republik entstehen ließ, wurde Pompidou der Chef seines persönlichen Kabinetts und auch ein engster Vertrauter. In dieser Rolle hatte er einen entscheidenden Anteil an der Vorbereitung der Evian-Verträge mit denen Frankreich den Algerienkrieg beendete und möglicherweise das Land vor einem Bürgerkrieg bewahren konnte. Am 14. April 1962 ernannte Charles de Gaulle seinen Kabinettschef Georges Pompidou zum Premierminister. Das war ungewohnt, hatte er doch bis anhin kein eigentliches politisches Mandat inne; erst 1967 wurde er im Département Cantal zum erstenmal in das Amt eines Député (Abgeordneter zur Nationalversammlung) gewählt.
Die Mai-Unruhen 1968 waren für den Präsidenten de Gaulle ziemlich verwirrend, und es war Pompidou, der mit ruhiger Hand die Ordnung einigermaßen aufrechterhielt und den Weitergang steuerte. Pompidou erreichte trotz größter Bedenken des Staatspräsidenten, daß dieser die Nationalversammlung auflöste und Neuwahlen ansetzte. Was viele im Umfeld de Gaulles als parteipolitischen Selbstmord taxierten, wurde in Tat und Wahrheit zu einem Triumph für die Gaullisten. Wie meistens in der V. Republik hatte das schwierige französische Konstrukt mit einem exekutiv tätigen Staatspräsidenten und einem von ihm ernannten Premierminister jenen Punkt erreicht, an dem die Konkordanz der beiden Amtsinhaber in Konkurrenz umgeschlagen hatte. Pompidou wurde von de Gaulle auf den 13. Juli 1968 entlassen und am 14. Juli durch Couve de Murville ersetzt.
«Je ne pense pas avoir d’avenir politique; j’ai un passé politique; j’aurai peut-être un jour, si Dieu le veut, un destin national.»
Ich habe vermutlich keine politische Zukunft; ich habe eine politische Vergangenheit und ich werde möglicherweise eines Tages – so Gott will – eine nationale Berufung erfahren.
Diesen Satz sagte Pompidou am 13. Februar 1969 in einem Interview mit dem Westschweizer Fernsehen TSR. Er brachte ihm kein Wohlwollen ein, nicht von de Gaulle und nicht von den Baronen des Gaullismus, zu denen er nie gehört hatte. Doch manchmal kommt es schneller, als man denkt. Charles de Gaulle setzte – am Parlament vorbei – ein Referendum über eine Reform der Regionalverwaltung und des Senats an. Eigentlich suchte er damit auch eine Bestätigung für die Politik in den Mai-Unruhen des Vorjahres und verknüpfte seinen Verbleib im Staatspräsidium mit dem erfolgreichen Ausgang der Volksabstimmung. Die Sozialisten und die Républicains indépendants von Valérie Giscard d’Estaing lehnten das Vorhaben ab und gewannen die Referendumsabstimmung. Charles de Gaulle hielt Wort und trat nach der Niederlage am 28. April 1969 als Staatspräsident zurück. Die schon erwähnten Barone des Gaullismus (unter ihnen Michel Debré, Jacques Chaban-Delmas, Roger Frey, Couve de Murville) suchten eine Kandidatur Pompidous zu verhindern. Aber de Gaulles zweiter Premierminister mit seinem taktischen und tatsächlichen Wahlsieg im Vorjahr war nicht mehr zu verhindern, da die große Mehrheit der Partei hinter ihm stand. Im ersten Wahlgang vom 1. Juni 1969 erhielt Pompidou bei sechs Gegenkandidaten bereits 44.5 % der Stimmen. In der Stichwahl vom 15. Juni gegen Alain Poher vom Centre démocrate wurde er mit 58.2 % vom Volk gewählt. Er übte das Amt des Staatspräsidenten bis zu seinem Todestag aus.
Außerhalb Frankreichs kennt man Pompidou kaum mehr oder er wird als Politiker und Staatsmann heute unterschätzt. Nicht so im eigenen Land, wo viele wichtige französische Medien ihm zum 50. Todestag eine Würdigung gewidmet haben. Pompidou hat wie wenig andere hinter de Gaulle jene Zeit maßgeblich mitgestaltet, die man in Frankreich – durchaus mit etwas Wehmut – als die Trente Glorieuses bezeichnet, also die Jahre von 1945 bis 1975. Es waren Jahre, die vom Wiederaufbau nach dem Krieg, vom wirtschaftlichen Aufschwung, von einer Dichte im kulturellen Leben und von einer großen gesellschaftlichen Liberalisierung geprägt waren. In seinen Rollen als Premierminister und später als Staatspräsident hatte er stets eine moderne Wirtschafts- oder eigentlich eher eine Industriepolitik betrieben, mit der er Frankreich zu einer führenden Nation machen wollte und viel davon erreichte. Und so nebenher publizierte der ursprüngliche Altphilologe auch noch Bücher, z.B. 1961 eine «Anthologie de la poésie française», die heute noch beachtet wird. Pompidou verkörperte diese Epoche mit seiner unversteckten Lebensfreude. Es gab für ihn nicht nur Politik. Er interessierte sich für die zeitgenössische Kunst, war einem guten Glas Wein und der gehobenen Gastronomie nicht abgeneigt, liebte das Kino und die Stars, das Theater und das literarische Leben ebenso wie schnelle Autos.
Diese Sicht auf seine Zeit und seine Zeitgenossen, aber auch worauf es ankommt, zeigen zwei Zitate von Pompidou besonders schön:
- «Les Français aiment la bagnole!»
Die Franzosen lieben nun mal ihre Kiste.
- «La puissance économique allemande doit être pour nous un aiguillon, et non pas une terreur.»
Die Stärke der deutschen Wirtschaft soll uns anstacheln, nicht aber in Schrecken versetzen.
Ich wünsche mir, wir hätten wieder einmal eine Zeit, in der Leute vom Format eines Georges Pompidou die Politik bestimmen und die sein wohl bestes Zitat ernstnehmen würden:
- «Mais arrêtez donc d’emmerder les Français!»
Hören Sie doch endlich auf, den Franzosen auf den Wecker zu gehen!
→ P.S. Dieses Zitat dürfen Sie auf jedes gewünschte Land anpassen.
02.04.2024 RM