Chirsipfäffer

Zum Zeitgeschehen

20-07-2022
von Rudolf Mohler
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Alle Jahre wieder… und jedesmal ein bißchen mehr

Gedanken zum 20. Juli und
zu Claus Schenk Graf von Stauffenberg

Am 20. Juli 1944 verübte der Generalstabsoffizier der deutschen Wehrmacht Claus Schenk Graf von Stauffenberg einen Bombenanschlag auf Adolf Hitler. Er wählte dafür einen risikoreichen Weg, indem er eine Bombe in das Führerhauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen schmuggelte. Die Gelegenheit dazu bot sich ihm, weil er zu einem Rapport beim Führer aufgeboten war. Stauffenberg konnte den Zeitzünder starten und die Aktentasche mit der Bombe in der Nähe Hitlers plazieren. Er verlies unter dem Vorwand, dringend telefonieren zu müssen, den Rapportraum. Die Bombe explodierte, doch Hitler und rund zwanzig weitere Teilnehmer überlebten den Anschlag. Vermutlich haben zwei Umstände verhindert, daß die Bombe die gewünschte Wirkung und die Tötung Hitlers erzielte. Ein sehr schwerer Planungstisch dämmte die Explosion, und da der Rapport nicht im üblichen Bunkerraum sondern in einer Holzbaracke stattfand, verflüchtigte sich der Druck, was die erwartete Sprengwirkung reduzierte. Stauffenberg und sein Adjutant konnten in der allgemeinen Verwirrung die Wolfsschanze verlassen und mit ihrem Flugzeug nach Berlin zurückkehren. Mitverschwörer aus dem Militärumfeld lösten den schlecht geplanten Umsturzversuch zu spät aus, in Berlin war nämlich schon seit ein paar Stunden bekanntgegeben worden, Hitler habe den Anschlag überlebt. Das führte dazu, daß totale Verwirrung eintrat. Einige wichtige Generale waren in die Pläne eingeweiht, doch als klar war, daß Hitler tatsächlich am Leben ist, distanzierten sie sich von der Sache. Generaloberst Fromm gab mit Bezug auf ein angebliches Standgericht den Befehl, Stauffenberg und einige seiner Mitverschwörer noch in der Nacht standrechtlich zu erschießen, was dann um Mitternacht auch stattfand.

Seit Jahren stelle ich fest, daß die Medien  –  besser das, was heute als Mainstreammedien gilt  –  um den 20. Juli herum Artikel und vor allem Fernsehsendungen bringen, in denen Stauffenberg und auch seine Mitverschwörer als die Guten, die Nazibekämpfer, die Helden gegen den Faschismus herausgestellt werden. Stauffenberg wird instrumentalisiert für die «guten Deutschen»; für den Altbundespräsidenten Gauck wäre das dann wohl «Helldeutschland».

Der erst 37-jährige Oberst Stauffenberg war diskussionslos mutig, sehr mutig, ging ein äußerst großes Risiko ein  –  und verlor dabei nicht nur das Spiel sondern auch sein Leben. Stauffenberg begrüßte in den 1930er-Jahren die Bewegung der Nationalsozialisten und unterstützte Hitler in der Reichspräsidentenwahl 1932. Er stand den Nazis bis in die frühen 1940er-Jahre nahe. Erst ab 1943 distanzierte er sich davon und wandte sich einer Widerstandsgruppe von hohen Offizieren zu. Genügend Fachhistoriker habe auch herausgearbeitet, daß Stauffenberg vor allem im Hinblick auf das Nachkriegsansehen einer deutschen Teilgesellschaft gehandelt hatte. Nämlich das spätere Ansehen jener Schicht, die aus Adel und Aristokratie bestand. Politisch gänzlich andere Werte als Nationalsozialismus oder gar aktiver Kampf gegen den Antisemitismus standen für jene Kreise nicht im Vordergrund. Wie sollte es auch, waren sie doch eine wesentliche Stütze des Regimes oder wenigstens seiner Wehrmacht und seiner Marine.

 

24-05-2022
von Rudolf Mohler
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Jagdliche Besonderheit in Frankreich

La louveterie – Le Lieutenant de la louveterie – Le louvetier

Bereits unter Karl dem Großen, 747/748 bis 814, König des fränkischen Reiches und am 25.12.800 von Papst Leo III. zum ersten Kaiser des römischen Reiches nach der Antike gekrönt, wurde die systematische Bekämpfung des Wolfes eingeführt. 812 oder 813 ordnete Karl der Große die Schaffung der louveterie an. Die «vicarii», also die regionalen Führungsvertreter (Vikare) hatten in ihrem Zuständigkeitsbereich zwei Wolfsjäger zu installieren, genannt «luparii» oder «louvetiers». Jeder «vicarii» hatte jederzeit Auskunft zu erteilen über die Situation mit den Wölfen und ihrer Bekämpfung. Die louvetiers waren sogar vom Militärdienst dispensiert, damit sie ihrer Aufgabe nachkommen konnten.

Die Einrichtung wurde stets weitergeführt. 1308 und dann wieder 1467 gibt es den Nachweis eines «Grand Louvetier de France», ein Titel, den die Nachfolger weiterführten.

Noch im Ancien Régime, nämlich 1787, wurde die Institution mit den louvetiers abgeschafft. Aber bereits in der Französischen Revolution (1789 und Folgejahre) wurde sie wieder eingeführt und dann schon von Napoléon ein erstes Mal reorganisiert. Da die Wölfe in Frankreich ausgestorben waren, waren diese Funktionen nur noch rein ehrenamtlich und wahrscheinlich vor allem auch eine Titelgeschichte. Mit einem Dekret der République française von 1977 wurde die louveterie wiederhergestellt.

Heute ist die louveterie beauftragt, die Bestände von Wild, das als «nuisibles» (Schädlinge) angesehen wird und das das Gleichgewicht in der Natur störend verändern kann, zu regulieren. Neben allenfalls Wölfen gilt heute insbesondere das Schwarzwild als «nuisibles». Die «Lieutenants de louveterie» arbeiten an sich ehrenamtlich und sind vom Präfekten des Départements  –  dem von der Republik eingesetzten obersten Chef der regionalen Verwaltung  –,  ernannt; damit haben sie eine staatliche Position und erfüllen entsprechend einen staatlichen Auftrag. Dazu gehört auch die Bekämpfung der Tollwut. Zur Aufgabe gehört zudem zur Befriedung der «monde agricole» , also der Bauern, beizutragen. Die Eingriffe der louvetiers gelten nicht als Jagdhandlungen sondern als Bekämpfungsmaßnahmen, weshalb die jagdrechtlichen Regelungen keine Anwendung auf deren Tätigkeit finden.

 

Logo der heutigen louveterie                                                                                                                               

 

Wappen eines früheren adligen Grand Louvetier de France

 

 

19-11-2021
von Rudolf Mohler
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Dem Elsaß ist die eigene Identität immer noch sehr wichtig

Wer Frankreich gern hat, das Land viel bereist und sich mit seiner Geschichte und seiner Politik befaßt, wundert sich oft über den fast extremen Zentralismus dieses Landes und damit der automatisch einhergehenden Geringschätzung der Regionen, der Menschen in diesen Regionen und all ihren regionalen Vorzügen.

Die Schaffung von Großregionen vor ein paar Jahren segelte zwar unter dem Motto «stärkere Dezentralisierung», war aber bei Lichte betrachtet ein weiterer Schub in Richtung Zentralisierung.

Ein Opfer dieser „Übung“ wurde das Elsaß, das seine eigene Region verlor und in die Großregion «Grand Est» integriert wurde. Daß das nicht gut ausgehen konnte, wurde allmählich sogar in Paris klar. Auf 2021 wurde ein sonderbares Konstrukt eingeführt: die Collectivité européenne d’Alsace CeA. Diese Einheit übernimmt fast alle Aufgaben und Kompetenzen, die in Frankreich einem Département zukommen, aber die altbewährten Départements Bas-Rhin (Unterelsaß – 67) und Haut-Rhin (Oberelsaß – 68) läßt man stehen, damit man die formalrechtlichen Grundlagen nicht antasten muß. Zudem gab man dieser CeA ein paar Kompetenzen, um in gewissen Handlungsfeldern mit ihren schweizerischen, badischen und pfälzischen Nachbarn Regelungen direkt zu treffen.

Offensichtlich haben zwei Drittel der Elsässerinnen und Elsässer durchschaut, daß das Ganze in der Nähe eines politischen Taschenspielertricks anzusiedeln ist. Aber die Elsässerinnen und Elsässer, für die die Gliederung in zwei Départements richtig und bewährt ist, möchten einfach ihre elsässische Identität, die es mit der alten Région d’Alsace gab, wieder zurückbekommen bzw. auch in Zukunft pflegen und ihren Nachfahren weitergeben können.

Ich hoffe es auch für alle meine vielen Freunde und Bekannten im Elsaß, daß sie dieses Ziel eines  –  hoffentlich nicht allzu fernen  –  Tages erreichen werden.

04-06-2021
von Rudolf Mohler
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Ja zum Rechtsstaat – Nein zum PMT

Die Jungparteien aus verschiedenen politischen Richtungen haben das Referendum gegen das sogenannte Antiterrorgesetz lanciert, über das die  Schweizerinnen und Schweizer am 16. Juni 2021 abzustimmen haben. Im vergangenen April führte die FDP Baselland einen Parteitag durch, der die Abstimmungsparolen zu fassen hatte. An diesem Parteitag drückte ich meine Freude über diese Jungen aus, die den Rechtsstaat hochhalten wollen. Meinerseits begründete ich mein Nein zu diesem Gesetz mit den schweren rechtsstaatlichen Bedenken, die man diesem Gesetz entgegenbringen muß. Mir war zum vorneherein klar, daß ich mir mit dieser Haltung nicht nur Freude- und Freundschaftsbekundungen holen werde, aber es war mir egal. Bedenklich bleibt für mich, wie in einer Partei auf schweizerischer und auf kantonaler Ebene die Sensibilität für Rechtsstaatlichkeit und Verfassungskonformität abhanden gekommen ist  –  in einer Partei wie der FDP, die über Jahrzehnte stolz darauf war, eine Hüterin dieser wichtigen Güter einer Demokratie zu sein. Noch bedenklicher ist für mich, wieviele Juristen, vor allem auch Staatsrechtslehrer, sich in letzter Zeit für das PMT-Gesetz aussprachen oder sich einfach elegant in die Büsche geschlagen haben. Eine Erscheinung, die in der Rechtserosion im Zusammenhang mit Covid-19 ihre Bestätigung findet.

Nun hat kürzlich – leider vielleicht zu spät in bezug auf die Abstimmung – einer der wirklichen Experten auf diesem Gebiet, der Rechtswissenschaftler und frühere baselstädtische Polizeikommandant Markus Mohler, sich pointiert und mit höchstem Fachwissen gegen das Bundesgesetz vom 25. September 2020 über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) ausgesprochen. Markus Mohler bezeichnet das vorgelegte Gesetz schlicht als verfassungswidrig und weiß dies auch zu argumentieren. 

Und ich spreche mich wie mein mit mir nicht verwandter Namensvetter ebenfalls für ein Nein zum PMT aus.

Zudem empfehle ich die Lektüre des BaZ-Artikels, den man unter diesem Link aufrufen kann.

02-04-2021
von Rudolf Mohler
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«Aufregend war es immer»

Portisch in der Diskussion

Mit Hugo Portisch (1927) ist am 1. April 2021 einer der bedeutendsten Journalisten des deutschen Sprachraums verstorben. Portisch war jedoch weit mehr als Journalist. Er war auch Publizist und Zeithistoriker. Und vor allem auch Filmautor im ORF. Mit der Reihe Österreich II  –  II für die zweite Republik  –  und der späteren Reihe Österreich I  –  für die erste Republik, die er mit dem Ableben von Kaiser Franz Josef im Jahr 1916 mitten im ersten Weltkrieg beginnen lies, wurde Portisch so etwas wie der Geschichtslehrer der österreichischen Nation. Ihm lag sehr viel daran, das lange gehegte österreichische Geschichtsbild vom Opfer der Nationalsozialisten an den richtigen Ort zu bewegen: Österreich war in Portischs Sicht durchaus auch Opfer der Nazis, aber Österreich war eben auch unübersehbar ein Mittäter im Nationalsozialismus.

Mit seinem Volksbegehren gegen das Parteienproporz-Fernsehen in Österreich stand er in den 1960er-Jahren am Anfang der Entwicklung zum selbständigen ORF. Ganz ohne Parteien gelang es ihm in Zusammenarbeit mit vielen Medien insgesamt über 800’000 Unterschriften für das Begehren in ganz Österreich beizubringen.

Portisch hatte in der ganzen Welt Zugang zu wichtigsten Akteuren der Politik. Entscheidend war in seinem eigenen Rückblick seine konsequente Einstellung, niemals einen Gesprächspartner in die Pfanne zu hauen. Geschickt hatte er es auch verstanden, die Zwischenstellung des neutralen Österreichs zwischen dem Ostblock und der westlichen Allianz zu nutzen und das Vertrauen aller Akteure nie zu enttäuschen.

Portisch veröffentlichte viele Sachbücher, von denen sein Lebensrückblick wohl zurecht den Titel trägt «Aufregend war es immer».
Bereits am Abend von Portischs Tod brachte ORF III  –  für mich der beste deutschsprachige Fernsehkanal  –  eine herausragende Gesprächssendung zur Würdigung des Verstorbenen. Teilnehmer waren seine frühere Produktionsleiterin und Weggefährten von Portisch sowie der Generaldirektor des ORF und sogar der frühere österreichische Bundespräsident Heinz Fischer. Gesprächssendungen von solch qualitativem Format würde ich gerne im SRF sehen; z.B. anstelle dieser drögen, sich wöchentlich wiederholenden Coronapalaver im Club am Dienstagabend.