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85 und kein bißchen leise

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Paul Bocuse, die lebende Legende der französischen Küche, durfte diesen Monat seinen 85. Geburtstag feiern (11.02.1926). Mit Bocuse verbindet sich für uns der Einstieg in die Welt der Hohen Gastronomie. Nach dem Besuch von ein paar Ein-Stern-Beizen und vielleicht zwei oder drei Zwei-Sterne-Restaurants setzten wir 1975 zum ersten Mal den Fuß über die Schwelle eines Drei-Sterne-Hauses . Es war in Collonges au Mont d’Or kurz vor Lyon am Ufer der Sâone beim berühmten Paul Bocuse.

Es war ein großartiges Erlebnis, wobei heute nicht mehr ganz auszumachen ist, ob diese Erinnerung treffend ist. Vielleicht ist dieses Urteil einfach der damaligen Unerfahrenheit oder der heutigen Verklärung im Rückblick zuzuscheiben. Auf jeden Fall sehe ich heute noch die Soupe VGE vor mir. Dieses Gericht komponierte Bocuse für den damaligen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Éstaing. Auf dem weißen Suppentöpfchen war eine goldgelbe Teighaube aufgebacken. Mit dem Löffel drückte man diese Haube ein. Den unglaublichen Duft von Bouillon, frischem Gemüse und viel schwarzem Trüffel kann ich heute noch aus meiner Erinnerung abrufen.

Den damals ganz großen Kochkünstler habe ich mehrmals persönlich erlebt. Die Entwicklung des Hauses war nicht nur erfreulich. Es kamen weitere Restaurants hinzu, es wurden Ladenlokale eingerichtet und selbst im Sektor von convenience food war Bocuse plötzlich tätig. Auch im Restaurant verschob sich der Fokus zusehends vom Gericht im Teller auf den Grand Maître Bocuse. Selbst im Zugang zum Restaurant wurde das sichtbar. Es genügte plötzlich nicht mehr, daß Bocuse von der Fassade des Hauses zur Sâone hin die ganze Umgebung als Fresko grüßte. Auf der andern Seite des Hauses entstand ein Innenhof. Entlang seiner linken Seite erfaßt der Blick die Hauptfiguren aus der französischen Küchegeschichte und fällt dann auf die Gegenwand, wo diese Geschichte im überlebensgroßen Bocuse endet….  Parallel zu dieser Selbstdarstellung am eigenen Haus verlief die Präsenz in der Öffentlichkeit. Bocuse wurde ein richtiger Medienstar.

Paul Bocuse, Aufnahme aus dem Jahr 2007  Bocuse_001

Bocuse war nicht der alleinige Erfinder der „nouvelle cuisine„, wobei heute nicht mehr auszumachen ist, ob er oder die Medien die Legendenbildner waren. Wahrscheinlich beide im fröhlichen Wechsel. Vor Bocuse gab es vor allem den großen Küchenchef Fernand Point in Vienne, bei dem Bocuse und alle seine Zeitgenossen ihr Rüstzeug geholt hatten. Points  Erneuerung in der Küche haben seine Schüler konsequent fortgesetzt. Zu dieser Gruppe gehören Jean und Pierre Troisgros, Jean-Paul Häberlin, Roger Verger und Michel Guérard ebenso wie der längst verstorbene Alain Chapel und einige weitere. Sie alle haben die neue Entwicklung maßgeblich beeinflußt, aber  –  und das bleibt unbestritten Bocuse’s größtes Verdienst  –  er war der beste Vermarkter, der beste Verkäufer der „nouvelle cuisine“. 

Von dieser „nouvelle cuisine“ hat er sich dann später auch wieder etwas entfernt, was am besten in späteren Kochbüchern, die unter seinem Namen herausgekommen sind, abzulesen ist. So hat er auch vor ein paar Jahren in einem Interview seine Philosophie so zum Ausdruck gebracht:

La cuisine est, pour moi, la manière la plus simple: une marmite posée au milieu de la table. On soulève le couvercle, ça fume et ça sent bon.

Die einfachste Art ist für mich   d i e   Küche: ein Kochtopf in der Mitte des Tisches. Man hebt den Deckel an, es dampft und es riecht gut.

Es gibt eine ganze Reihe von guten Bocuse-Sprüchen, z.B.:

Je n’ai rien appris à l’école. Je préfère savoir que 1947 était  un bon millésime.

In der Schule habe ich nichts gelernt. Ich ziehe es vor zu wissen, daß 1947 ein guter Weinjahrgang war. 

 

Aus diesem Ausspruch kann man gut ableiten, daß Bocuse auch ein Genußmensch und ein dem Leben stets zugewandter Mann war: großer Koch, Jäger, Weinkenner, Genießer und sicher kein Frauenverächter.

Wenn man in den vergangenen Jahren bei einem Besuch in Collonges au Mont d’Or den nüchternen Schluß ziehen mußte: Es gibt heute bessere Spitzenrestaurants, so bleibt eines unveränderlich bestehen.  Bocuse hat in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts die Entwicklung der französischen Kochkultur führend mitgeprägt. Bocuse hat mit verschiedenen Aktivitäten, u.a. zur Förderung des Nachwuchses, diskussionslos weitere Verdienste erlangt.

Vor allem aber hat Paul Bocuse einen unschätzbaren Beitrag dazu geleistet, daß die große, über Jahrhunderte hinweg getragene kulinarische Tradition und das im französischen Volksbewußtsein tief verankerte Wissen um den Wert des guten Essens weiterhin Bestand hat.

In dem Sinne: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag und dankeschön für die Leistungen im Interesse der hohen Küchen- und Tafelkultur.

Das alles steht Bocuse zu, auch wenn er vor etwa vier Jahren in einem Interview gesagt hat:

Ich koche heute nicht mehr; ich trinke Champagner und zähle Geld.

 Sonntag, 27. Februar 2011

© Rudolf Mohler, CH-4104 Oberwil 

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Ein Kommentar

  1. Nettes Schlußzitat. Das will ich aber schon mit 60 Jahren sagen können.

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