Chirsipfäffer

Zum Zeitgeschehen

Jedes Land hat …

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…. die Regierung, die es verdient. Dieses geflügelte Wort ist wohl allgemein bekannt und wird nicht nur in unserem Land gerne zitiert.

Die medialen Leistungen rund um den gestrigen Bundesfeiertag machen es notwendig, das geflügelte Wort auszudehnen. Jedes Land hat auch die Medien, die es verdient. Was da schon im Vorfeld geboten wurde, hat das Maß der Zuträglichkeit überfüllt. Ganz besonders beeindruckend war die Leistung von Radio SRF 1 am Feiertag selbst: einen ganzen Tag nur Schweizer Musik – alles in Ehren, aber man kann ja. Wir leben ja auf einer Insel, weit draußen im Atlantik…    Und die Schweiz am Sonntag hat für mich den Vogel abgeschossen. Statt über ein paar vielleicht doch wichtige Gedanken unserer Regierungsmitglieder anläßlich einer Bundesfeier sachlich zu berichten, ergibt man sich in einem neuen Rating-Gag. Man beurteilt die Bundesrätinnen und Bundesräte mit einem undurchsichtigen „bla-bla-Index“. „Geratet“ von wem auch immer, nach Kriterien von woher auch immer.

Inhaltlich ist mir aufgefallen, wie die Medien sich zur Fortsetzung des Historiker-Streitchens rund um die 15er-Jahrzahlen aufgerufen fühlten; darunter auch Kolumnisten, die sich sonst ganz besonders weltläufig und quer verstehen wollen.

Wilhelm Tell rauf und runter. Und kaum einem ist das wichtigste aufgefallen: Hätte sich Friedrich Schiller nicht der Sagenfigur des Wilhelm Tell für sein großes Freiheitsdrama bedient, Tell hätte nie die Bedeutung erlangen können, die dieser Sagen- und wahrscheinlich reinen Fiktionsfigur heute zukommt. Und was Schiller in Worten zur Schaffung der Legende beitrug, das ergänzte Rossini mit Tönen.

Auch unser Geschichtslehrer zur Gymizeit war schon wesentlich weiter, als die meisten 1.-August-Kommentatoren und -Redner des Jahres 2015. Er vermittelte uns damals schon, daß die Niederlage in der Schlacht von Marignano einen Wendepunkt in der Politik der Alten Eidgenossenschaft darstellte. Aber es gab keineswegs eine „Marignano-Neutralität“ ab dem 16. Jahrhundert, sondern das war im wesentlichen eine Schöpfung der Geschichtsinterpretation des 19. Jahrhunderts.

Jedes Land hat auch seine Mythen, die es verdient. Aber Achtung, hier könnte man sich rasch vergreifen. Bei diesen Mythen kommt es nicht so sehr auf die historischen Fakten an, als auf die Überlieferung dieser Mythen, die eben einen Teil dessen ausmacht, was man modern und englisch als ’nation building‘ bezeichnet. Das ist nicht nur etwas für die neuen Nationen z.B. auf dem afrikanischen Kontinent. Wir haben einfach einen viel längeren Weg schon hinter uns.

Damit man die Bedeutung des realen historischen Gehaltes und der in Mythenform verinnerlichten Geschichtsbilder gegeneinander abgleichen kann, empfiehlt es sich, die entsprechende Fachliteratur nachzulesen. Dazu gehört beispielsweise das Werk Gründerzeit ohne Eidgenossen von Prof. Dr. Roger Sablonier. Der zwischenzeitlich verstorbene Sablonier war Ordinarius für Geschichte des Mittelalters an der Universität Zürich.

Mehr dazu findet sich im Beitrag Bundesfeier ohne Eidgenossen.
02.08.2015

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