Was man fast nicht für möglich gehalten hätte, ist seit zehn Monaten Realität geworden. Ein Virus mit dem Fachnamen Covid-19 bringt es fertig, in Europa – dem Wurzelgrund von Aufklärung, Menschenrechten und Demokratie – die als gesichert geglaubte demokratische Rechtsstaatlichkeit an den Rand zu drängen. Als intensiver Beobachter unserer Nachbarländer ist mir schon lange aufgefallen, daß die führenden Personen im Staat und auch in der EU, sich je länger je weniger um Rechtsstaatlichkeit kümmern, sondern die Dinge nach Nützlichkeitserwägungen zurechtbiegen.
In Deutschland hat das sogar schon vor Corona eingesetzt. Dort foutiert sich die Bundeskanzlerin seit über einem halben Jahrzehnt um das Grundgesetz, und das Parlament hat sie de facto ausgeschaltet. Ihre Regierungsmitglieder hebelt sie oft aus und regiert wird mit einer Konferenz mit den Ministerpräsidenten, die es verfassungsrechtlich gar nicht gibt. Außer den drei Professoren Ulrich Battis, Udo Di Fabio und Hans-Jürgen Papier, die zwei letzteren auch ehemalige Verfassungsrichter, protestiert kaum ein Staatsrechtler dagegen. Und Bundestagsabgeordnete noch weniger, sie wollen ja wiedergewählt werden.
Bedrückend ist die Tatsache, daß dieses deutsche „Modell“ sich auch bei uns zu etablieren beginnt. Das Parlament nimmt für meine Wahrnehmung seine Aufgabe nicht so wahr, wie das sein müßte. Nach Pandemiegesetz hätte der BR die Möglichkeit, die Außerordentliche Lage auszurufen und damit die ganze Verantwortung zur übernehmen. Aber nein, man beläßt es bei der Besonderen Lage, in der die Kantone führend wären, aber kommandiert dann doch alles von Bern aus. Regiert wird mit einer Task Force und zunehmend mit einer Art Permanentkonferenzen mit den Kantonen. Verfassungsrecht scheint völlig nebensächlich, elementarste Bürger- und Freiheitsrechte werden ausgehebelt oder stillgelegt. Und ich höre keinen Staatsrechtler, der laut und klar «halt!» rufen würde.
Höchste Kultur- und Rechtsgüter werden einfach geschlissen. Und das alles hinter einem unreflektierten «Wir schützen Leben» – ohne sich in der Tiefe damit auseinanderzusetzen, wieviel anderes Leben höchst gefährdet wird. Durch Unterlassungen, Behinderungen und Beschädigungen. Die dringend nötige gesellschaftliche Diskussion, die in einer Demokratie unabdingbar ist, wird fast nicht geführt. Die Situation in anderen Ländern kann für all das keine Rechtfertigung sein.
Jetzt müssen sich die Politiker, aber auch wir Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, dem stellen, was der erste deutsche Bundespräsident Theodor Heuss einfach und so treffend gesagt hat:
«Man muß das als gegeben hinnehmen: Demokratie ist nie bequem.»
(am 04.02.2021 im Birsigtal Boten publiziert
2021-02-04 BiBo_5 Forum «Leben wir noch in einer Demokratie» – RM)
Teilen
06-02-2021 um 7:50
Danke. Ruedi